Israelitische Kuranstalt

In Bad Soden hofften viele Menschen, Heilung von Lungenkrankheiten zu erfahren, speziell von der damals stark grassierenden, tödlich verlaufenden Tuberkulose. Die Israelitische Kuranstalt war eine Kureinrichtung für jüdische Menschen, die in diesem Haus ihre religiösen Vorschriften beachtet fanden. Außerdem war sie eine soziale Einrichtung, in der arme Menschen einen kostenlosen Kuraufenthalt, dank der orthodoxen Frankfurter Bankiersfamilie Baron Wilhelm Carl und seiner Gattin Mathilde von Rothschild, verleben konnten.

1889 war die Kureinrichtung in der Talstraße entstanden. In den kommenden Jahrzehnten konnten sich dort mehrere Tausend sozial schwache Patienten unter ärztlicher Aufsicht erholen und auch gesunden. Auch Gottesdienst wurde hier abgehalten. Es gab einen Schrank mit Torarollen. Die hauptsächlich Lungenkranken kamen aus Russland, Polen, Belgien, Frankreich, England und aus dem nahen Umfeld Bad Sodens. Mit der Israelitischen Kuranstalt war ein Ort praktizierter Wohltätigkeit in der Armen-und Krankenpflege entstanden.

Israelitische Kuranstalt, Postkarte

Ansichtskarte 1918

Dies war den Nazis in der Hochburg Bad Soden ein Dorn im Auge. Seit 1933 war die Kuranstalt Repressalien ausgesetzt. 1938 kam es dann in der Pogromnacht am 9. November landesweit zu antisemitischen Ausschreitungen, Verhaftungen und sogenannten „Sammelaktionen.“ Am Mittag des 10. Novembers erreichten sie die Israelitische Kuranstalt.

Schüler warfen, angefeuert von ihrer Lehrerin, Scheiben ein. NS-Männer drangen in das Haus ein, brachen die Türen auf und zerstörten Mobiliar und Wasserleitung. Dann wurden die Patienten, wahrscheinlich über 60 Menschen, gezwungen das Haus zu verlassen. Teils im Bademantel, teils ohne Schuhe, nur im Schlafanzug wurden sie erbarmungslos aus dem Bett gejagt. Dann wurde die Israelitische Kuranstalt angezündet und teilweise niedergebrannt. Die Kranken und die sie begleitenden Pfleger wurden nach Frankfurt gebracht. Von dort ging es weiter in die Vernichtungslager. Die Spuren verlieren sich.

Für die Patienten gab es keine Hoffnung mehr. Wir konnten nicht einmal ihre Namen aufspüren. Sie wurden diskriminiert, vertrieben und wahrscheinlich alle ermordet.

Dem Chefarzt Dr. Max Isserlin und seiner Familie gelang die Flucht, Oberin Jenny Jeidel wurde wahrscheinlich im Vernichtungslager Belzec oder Sobibor ermordet.

Von den anderen jüdischen Mitarbeitern der Israelitischen Kuranstalt, von denen wir wissen, dass sie hier gearbeitet und teilweise im Nachbarhaus wohnten, verliert sich wie bei den Patienten nach dem Pogrom jegliche Spur. Ihre Namen stehen auf einer bisher unveröffentlichten Liste, die im Archiv in Bad Soden aufbewahrt wird.

Umso wichtiger ist es, dass trotzdem wenigstens etwas von den Patienten, Ärzten und Mitarbeitern und ihrem Schicksal überlebt.

Einerseits ist die Geschichte dieses Ortes, an dem ein guter Geist wehte, zu erzählen und anderseits ist auch die Rücksichtslosigkeit der Nazis, ihre Brutalität und ihre Zerstörungswut deutlich zu benennen.

Weil wir an eine Vielzahl von Menschen erinnern wollen, die 1938 aus der Israelitischen Kuranstalt gewaltsam von diesem Ort, Talstraße 12-14, fortgebracht wurden, hat sich die AG Stolpersteine nicht für einzelne Stolpersteine entschieden, sondern für eine Stolperschwelle. Sie wurde – wegen der Corona-Versammlungsbeschränkungen ohne besondere Feier – im Andenken an die Pogromnacht verlegt.

Lissy und Sven Hammerbeck, 10.11.2020

Artikel dazu im Höchster Kreisblatt vom 10.11.2020